In einer Welt, die sich immer schneller dreht und in der neue Technologien den Alltag prägen, stehen Unternehmen vor der großen Frage: Wie navigieren wir durch die digitale Transformation? Ömer Atiker, Experte für dieses Thema, blickt dabei nicht nur auf Algorithmen und Systeme, sondern vor allem auf den Menschen. Im Gespräch mit regionalupdate.de teilt er seine Überzeugungen, warum digitale Transformation vor allem unternehmerisches Denken erfordert und wie man die größte Hürde – die Menschen – erfolgreich mitnimmt.
Digitale Transformation: Ein unternehmerischer Imperativ
Für Ömer Atiker ist die digitale Transformation kein abstraktes Konzept, sondern eine klare unternehmerische Aufgabe. „Für mich ist digitale Transformation immer unternehmerisches Denken“, beginnt er. Es gehe darum, die eigene Dienstleistung oder das Produkt so gut, so schnell, so einfach und so preiswert wie möglich anzubieten. „Und jetzt gibt es neue digitale Möglichkeiten. Als Unternehmer müssen wir einfach schauen, welche davon sind für uns relevant und was kann ich tun, um diese Möglichkeiten zu nutzen, damit ich mein Produkt, meine Dienstleistung besser, schneller, einfacher zur Verfügung stellen kann.“
Die „zackige Grenze“ der Unternehmen: Zwischen Fortschritt und Stillstand
Wo stehen die meisten mittelständischen Unternehmen auf diesem Weg? „Ja, irgendwo dazwischen zwischen Anfang und Mitte“, so Atiker. Man könne sie nicht über einen Kamm scheren. Er spricht von der „Jagged Frontier“, der zackigen Grenze: „In manchen Dingen sind wir ganz weit, in anderen hinken wir hinterher.“ Das gelte auch für Unternehmen: Manche Bereiche liefen gut, andere weniger. „Bei manchen Dingen denkst du, du liebe Güte, das hat sich in 30 Jahren nicht verändert, vielleicht sollten wir mal hinschauen.“
Das Trilemma der Veränderung: Geld, Technik, Mensch
Die größte Hürde bei Veränderung sei relativ einfach: „dass zu wenig an die Menschen gedacht wird.“ Aus Unternehmenssicht sei Veränderung ein Trilemma aus Geld, Technik und Menschen. „Was können wir tun und wie genau funktioniert das? Wie finanzieren wir das und wo investieren wir in welche der vielen Hype-Themen und wie kriegen wir die Menschen mit?“
Die Mitarbeiter hätten ihr eigenes Trilemma: „Was, wie und warum?“ Was sollen sie anders machen? Wie wählen sie das Richtige aus? Und vor allem: „Wie geht das?“ Atiker erinnert sich an eine Zeit, in der jeder Mitarbeiter seine eigene App programmieren sollte – eine „katastrophale Idee“. Wissenstransfer sei hier entscheidend, werde aber völlig unterschätzt. Und das Dritte ist das „Warum“. „Das wird auch so unterschätzt.“ Mitarbeiter hätten bei Veränderungen oft Angst um ihren Job oder davor, Neues lernen zu müssen. „Keiner macht mit Begeisterung bei Veränderungen mit, weil Veränderung ist erstmal anstrengend. Das, warum? Und das bringt uns auch zu dem Mindset-Fehler, der uns bremst.“
Der größte Mindset-Fehler: Die fehlende menschliche Verbindung
Der größte Mindset-Fehler liege darin, dass die digitale Transformation nicht „für und mit den Menschen“ gemacht werde. „Die Geschäftsführung redet in Strategie und in Zahlen. Die IT sagt, wir machen was Digitales und reden Technik. Aber keiner redet mit den Menschen.“ Und die, die mit Menschen reden sollten – HR, interne Kommunikation – hätten meist zu wenig Ahnung von Technik. Das führe zu einer ungünstigen Situation, in der technische Lösungen präsentiert werden, ohne dass die Mitarbeiter den Sinn oder die Umsetzung verstehen.
Einfache erste Schritte: Reden, ausprobieren, involvieren
Digitale Denkweisen zu fördern, gehe auch ohne große Investitionen. „Das ist zuallererst drüber reden, sodass es ganz normal wird, dass ich irgendwas Digitales mache, dass ich was Digitales ausprobiere“, so Atiker. Es gehe darum, die Leute ernst zu nehmen und mitzunehmen. Er erinnert sich an einen großen Pharmakonzern, der ein neues CRM-System entwickelte, aber die Mitarbeiter nicht fragte. Das Ergebnis: keine Begeisterung. „Mach kleine Schritte, rede mit den Leuten und involvier sie.“ Es werde immer Skeptiker geben, aber der Rest sei tendenziell interessiert und müsse mitgenommen werden.
Die Faszination des Neuen und die Arbeit mit Menschen
Was ihn am meisten begeistert? Zwei Dinge: „Das einmal meinen Kopf begeistert, die Möglichkeiten zu entdecken, was es Neues gibt.“ Aktuell sei das natürlich KI. Es sei faszinierend zu sehen, was KI kann und was sie mit uns macht, aber auch, wie wir damit umgehen. „Wir fangen an, wieder so ganz banale Dinge zu digitalisieren, die überhaupt nicht digitalisiert werden müssten.“
Die andere Seite sei die Arbeit mit Menschen. „Als Redner ist es einfach so lohnend, so bereichernd auf einer Bühne stehen zu können und mit ein paar hundert Menschen über die Zukunft zu sprechen.“ Die Zweifel zu spüren und auszusprechen, die Freude, die Begeisterung, die Neugierde – „Das Menschsein, das ist für mich wirklich sehr, sehr schön.“
Unorthodoxe Lösungen und Pragmatismus: Ein Projektbeispiel
Sein spannendstes Projekt sei nicht ein einzelnes, sondern die Freude daran, „wenn wir unorthodoxe Lösungen finden.“ Er nennt das Beispiel eines Mittelständlers mit 10.000 Mitarbeitern, der Generatoren baut. Das Unternehmen hatte ein organisatorisches Problem: Sie wollten digital arbeiten, aber ihr Einkaufsprozess für die Produktion war zu starr für agile Projekte.
„Ich bin sehr stolz darauf, wie wir das gelöst haben, weil wir eben nicht gesagt haben, so wir jetzt setzen uns alle an einen Tisch, sondern wir haben mit allen einzelnen Stakeholdern gesprochen“, erzählt Atiker. Mit Projektleitern, Bereichsverantwortlichen, dem Einkauf, der Rechtsabteilung. Jeder konnte klar sagen, was ihm wichtig war. „Und am Ende haben wir eine Lösung gefunden, die sehr pragmatisch war.“ Man habe auf ein mögliches Einsparpotenzial verzichtet, aber so viel an Schnelligkeit, Qualität und Marktbereitschaft gewonnen, dass der Vorteil überwog. „Ein bisschen Pragmatismus und ein bisschen Menschlichkeit macht Projekte also richtig spannend.“
Ein prägender Satz: Den Kunden das Geben von Geld erleichtern
Ein Zitat, das seinen Weg geprägt hat, sei ein Satz seines Vaters: „Mach es deinen Kunden leicht, dir Geld zu geben.“ Atiker, der sein Diplom über Usability schrieb, betont, wie oft das vergessen werde. „Firmen machen irgendwas und sie drehen sich immer um den eigenen Bauchnabel dieses System und jener Prozess.“ Man sollte sich vielmehr nach außen richten und schauen, wie man es den Kunden leicht und angenehm macht, mit einem zu arbeiten. Er zitiert Nils Pfleging: „Wir brauchen keine Pyramidenorganisation, sondern einen Pfirsich.“ Der Pfirsich habe innen den harten Kern, um den Laden am Laufen zu halten, aber außen sei er samtig, weich und saftig – dort, wo die Interaktion mit dem Kunden stattfindet.
Rat für den Wandel: Fragen, Beobachten, Abkürzungen nutzen
Für diejenigen, die den Wandel wollen, aber nicht wissen wie, hat Ömer Atiker zwei Ratschläge. Der erste: „Frag deine Menschen.“ In jedem Unternehmen gebe es bereits Mitarbeiter, die schon ein bisschen losgelaufen sind. Es gelte, nicht nur zu reden, sondern auch zu sehen, was sie tatsächlich machen. „Denn was wir sagen, das wir tun, ist was ganz anderes als das, was wir tatsächlich machen.“ Er beobachtet, dass KI im Alltag oft für banale Dinge genutzt wird, wie die Formulierung von Geburtstagseinladungen. „Guck dahin, wo etwas tatsächlich genutzt wird und überleg dir, was ist der Grund und was kann ich daraus lernen?“
Der zweite Rat: „Sprich mit Fachleuten, die schon ganz viel gesehen haben. Und ja, jemanden wie mich.“ Das sei die Abkürzung. Man könne es alleine in ein, zwei, drei Jahren ausarbeiten, oder mit einem Experten in drei Monaten ein ganzes Stück weiter sein.
Den Wandel im Fokus behalten: Surfen auf der Welle der Neuigkeiten
Wie behält man den Wandel im Fokus, wenn die schiere Masse an Neuigkeiten überwältigend ist? „Ich kann ihn gar nicht im Fokus halten“, gesteht Atiker. Sein Ansatz: Er surft. „Ich versuche nicht die ganze Welle zu wecken, sondern ich bleibe relativ auf der Welle und schaue, was passiert denn tatsächlich.“ Ihn interessiere nicht, welche Modelle herauskommen, sondern was die Leute damit machen, worüber sie sich aufregen, was sie freut oder ärgert. „Sprich, ich mache es indirekt. Das ist ein bisschen wie mit dem Kanarienvogel in der Kohlengrube.“ Er schaue, wie es den Menschen geht und leitet daraus ab, was sie wirklich, wirklich wollen.
Ömer Atiker steht für einen menschlichen, pragmatischen und systemischen Blick auf die digitale Transformation. Sein Ansatz hilft Unternehmen, die Komplexität zu reduzieren und den Wandel als Chance zu begreifen, die vor allem durch das Engagement und die Einbeziehung der eigenen Mitarbeiter gelingt.