Hamburg wird in den kommenden Tagen zum Zentrum intensiver medizinischer Debatten: Der Jahreskongress der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) bringt ab dem 3. Dezember über 7.000 Fachleute aus ganz Deutschland zusammen. Schon vor dem offiziellen Start des DIVI25 setzt die Fachgesellschaft ein wichtiges Signal: Am 1. Dezember lädt sie zu einem offenen Bürgerforum, das ethisch hochrelevante Fragen rund um Notfallmedizin und Lebensende thematisiert.
Bürgerforum: Wenn es ernst wird
Das öffentliche Forum unter dem Titel „Was passiert mit uns, wenn’s im Notfall ernst wird?“ bietet Bürgerinnen und Bürgern die seltene Gelegenheit, mit führenden Intensivmedizinern über medizinische Notfallsituationen, Patientenverfügungen, Behandlungsgrenzen und ethische Dilemmata ins Gespräch zu kommen. Besonders brisant ist der Hintergrund: Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst das Triage-Gesetz gekippt, was bei vielen Menschen für Verunsicherung sorgte.
Sechs ausgewiesene Fachleute gestalten das Podium, darunter Ethikberaterin Dr. Teresa Deffner, Notaufnahme-Chefärztin Dr. Bernadett Erdmann und der renommierte Intensivmediziner Prof. Dr. Christian Waydhas. Sie beantworten Fragen, erklären medizinische Abläufe und wollen mit Mythen und Missverständnissen aufräumen. Der Eintritt zur Veranstaltung im Saalhaus Hamburg ist frei, eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Es geht um Aufklärung, Teilhabe und das Recht auf informierte Entscheidungen – gerade, wenn es um die vielleicht schwierigsten Fragen des Lebens geht.
Eröffnung mit Tiefgang: Tania Singer über das soziale Gehirn
Zwei Tage später folgt ein weiterer Höhepunkt: Der Eröffnungsvortrag des DIVI25 am 3. Dezember steht ganz im Zeichen mentaler Gesundheit und zwischenmenschlicher Resilienz. Die weltweit anerkannte Neurowissenschaftlerin Prof. Tania Singer spricht über „Das Training des sozialen Gehirns: Von Empathie über Mitgefühl zur mentalen Gesundheit“. Ihr zentrales Anliegen: Menschen in hochbelasteten Berufen – wie Ärztinnen und Ärzten der Intensiv- und Notfallmedizin – benötigen Werkzeuge, um sich vor empathischer Erschöpfung und Burnout zu schützen.
Singer stellt aktuelle Forschungsergebnisse aus zwei groß angelegten Studien vor: dem ReSource-Projekt, einer umfassenden Langzeitstudie zu mentalem Training, und dem CovSocial-Projekt, einem zehntägigen App-basierten Programm zur Förderung von Mitgefühl und Resilienz. Beide belegen, dass gezielte Achtsamkeits- und Partnerübungen emotionale Belastungen messbar reduzieren, das soziale Miteinander stärken und psychische Widerstandskraft erhöhen können.
Für das medizinische Fachpublikum ist dieser Ansatz von enormer Relevanz. Der Alltag in Notaufnahmen und auf Intensivstationen ist geprägt von Zeitdruck, schweren Schicksalen und enormer Verantwortung. Singer wirbt deshalb für eine neue Haltung: Achtsamkeit und empathische Selbstfürsorge sind kein Luxus, sondern Voraussetzung, um dauerhaft helfen zu können. Ihre Botschaft ist optimistisch: Soziale Fähigkeiten wie Mitgefühl sind trainierbar – und schützen nicht nur das medizinische Personal, sondern kommen letztlich auch den Patientinnen und Patienten zugute.
Kongress mit Haltung
Unter dem diesjährigen Motto „Klug entscheiden. Achtsam handeln.“ bringt die DIVI25 medizinische Fachkompetenz, ethische Reflexion und gesellschaftliche Verantwortung zusammen. Während sich im Hauptprogramm alles um wissenschaftliche Innovationen, Therapieoptionen und Versorgungsstrukturen dreht, setzen Keynote und Bürgerforum bewusst andere Akzente. Es geht um Menschlichkeit im Ausnahmezustand, um innere Stärke und um die Freiheit, über das eigene Leben mitbestimmen zu dürfen – auch in der Klinik.
Mit dem Bürgerforum öffnet sich die DIVI auch nach außen, macht komplexe Inhalte für Laien verständlich und zeigt: Gute Medizin ist Teamarbeit – zwischen Fachleuten, Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörigen. Und mit Prof. Tania Singer als Keynote-Speakerin beweist die DIVI, dass Zukunftsfähigkeit in der Medizin nicht nur durch Technik und Effizienz entsteht, sondern auch durch emotionale Intelligenz, Mitgefühl und mentale Klarheit.
