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Opa mit Neffe

Vom Loslassen zur Nähe – Wie ich lernte, mein Enkelkind auf den Arm zu nehmen

Ein persönlicher Erfahrungsbericht über Verlust, Angst und einen vorsichtigen Neuanfang

Ich bin vor ein paar Wochen Opa geworden. Ein wunderschöner Moment, ein neues Kapitel, ein kleines Wunder. Und doch war meine erste Reaktion nicht nur Freude – sondern auch Unsicherheit. Denn so sehr ich mich auf dieses neue Leben gefreut habe, war da auch etwas anderes: Eine leise, tief sitzende Angst, die mit einem sehr persönlichen Schmerz in meiner Familie verbunden ist.

Es ist noch gar nicht so lange her – ich war Ende 40, als der kleine Sohn meiner Schwester am Tag seiner Geburt verstarb. Ein Ereignis, das in der ganzen Familie tiefe Spuren hinterlassen hat. Die Trauer, die Sprachlosigkeit, das Gefühl der Hilflosigkeit – all das blieb hängen. Und bei mir kam etwas dazu, das ich viele Jahre mit mir herumgetragen habe, ohne es wirklich einordnen zu können.

Ich bin 1974 geboren. Als meine Schwester 1980 zur Welt kam, war ich etwa sechs Jahre alt. Ich hielt sie damals als Baby auf dem Arm – und sie fiel mir herunter. Niemand machte mir einen Vorwurf, aber das Gefühl, versagt zu haben, ließ mich nicht los. Und obwohl dieses Erlebnis Jahrzehnte zurückliegt, vermischte es sich in meinem Inneren mit dem Verlust ihres kleinen Sohnes. Zwei Momente – weit voneinander entfernt, aber emotional verbunden. Und sie führten zu einer tiefen Unsicherheit: Kann ich überhaupt ein Baby halten, ohne Angst?

Wenn Angst auf Verantwortung trifft

Ich selbst habe keine leiblichen Kinder – aber ich habe eine wunderbare Frau, die fünf Kinder mit in unsere Ehe gebracht hat. Und ich liebe sie alle, als wären sie meine eigenen. Unsere Familie ist bunt, lebendig und geprägt von Vertrauen und gegenseitiger Zuneigung. Doch der Umgang mit einem Neugeborenen war für mich etwas Neues, Unbekanntes. Und er brachte alte Gefühle zurück.

Als mein Enkel – das Kind meiner Stieftochter – geboren wurde, spürte ich plötzlich diese Unsicherheit wieder. Die Angst, etwas falsch zu machen. Die Überforderung, wenn das Baby weinte. Ich wich den Momenten aus, in denen ich ihn auf den Arm nehmen sollte. Nicht, weil ich ihn nicht liebe – sondern weil ich mich innerlich blockiert fühlte.

Aber das Schöne war: Niemand drängte mich. Ich durfte mir Zeit lassen. Ich durfte lernen, mich dieser Herausforderung in meinem Tempo zu nähern – Schritt für Schritt.

Der erste Moment der Nähe

Und dann war er da – dieser Moment. Ich nahm meinen Enkel vorsichtig auf den Arm. Ganz langsam. Mit pochendem Herzen. Und es war… gut. Ich spürte, wie er sich ganz selbstverständlich in meine Arme legte. Ich spürte, dass ich ihn halten kann. Und dass ich das darf.

Es war ein stiller Triumph. Kein großer Applaus, kein dramatischer Moment. Aber für mich war es eine Wende. Ich konnte mich meiner Angst stellen – nicht durch Kraft, sondern durch Nähe. Durch Vertrauen. Durch das Wissen: Ich bin nicht mehr der kleine Junge von damals.

Mut zur Verletzlichkeit

Heute weiß ich: Es ist in Ordnung, alte Ängste zu haben. Es ist menschlich, von früheren Erlebnissen geprägt zu sein. Aber es ist auch möglich, neue Erfahrungen zuzulassen. Nähe dort zu spüren, wo früher Unsicherheit war. Und Verantwortung zu übernehmen – im eigenen Tempo, mit offenem Herzen.

Ich bin kein leiblicher Vater. Aber ich bin Vater im Herzen – und Opa aus tiefster Überzeugung. Und ich weiß heute: Familie ist nicht nur eine Frage der Biologie. Sie ist eine Entscheidung. Ein Gefühl. Eine Verbindung, die über alles hinausgeht.

Tipp für Großeltern mit Unsicherheiten:

Es gibt viele Wege, sich im Umgang mit Babys sicherer zu fühlen – von Gesprächen mit der Familie über Hebammenrat bis hin zu speziellen Großelternkursen. Manchmal beginnt der wichtigste Schritt aber einfach damit, sich selbst zu erlauben, nicht perfekt zu sein.

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